domradio.de: Der Populismus wird nicht nur in weiter Ferne stärker, sondern auch in Europa. Die Wortwahl wird schärfer. Woher kommt das Ihrer Meinung nach?
Harald Welzer (Soziologe): Ich glaube, das kommt zum einen daher, dass die Welt sich im Moment relativ schnell sehr stark verändert, was immer Unsicherheit mit sich bringt. Zum anderen, wenn wir jetzt über Europa sprechen oder auch über Deutschland und Österreich, glaube ich, ist eine Ursache auch, dass der demokratisch und verantwortungsvoll gesinnte Teil der Gesellschaft sich nicht hinreichend wehrt gegen den Populismus.
domradio.de: Was heißt das? Müssten die Leute dann auch mehr wählen gehen?
Welzer: Sie müssten mehr wählen gehen, aber Demokratie ist eine Regierungsform, die auf das politische Gemeinwesen angewiesen ist. Freiheit und Demokratie sind nie gesichert, ein Blick ins 20. Jahrhundert reicht, um das sofort zu sehen. Wir haben das große Problem, dass Themen heute gesetzt werden und leider auch von vielen Medien so gespielt werden, wie die Rechten sie setzen: Also die angebliche Besorgnis, Ängste, Überfremdungsängste, Islamisierungsängste, die überhaupt kein realistisches Fundament haben, aber Aufmerksamkeit auf sich ziehen und dann anscheinend diskussionswürdig werden.
domradio.de: Einfache Lösungen anzubieten zieht bei Menschen, die Ängste haben, meistens ganz gut, oder?
Welzer: Ich würde davor warnen, die Zielgruppen an irgendeiner gesellschaftlichen Stelle zu verorten. Meistens denkt man an Unterschichten, Abgehängte und sozial Deklassierte. Die großen Probleme sind aber, dass Ressentiments und Ausgrenzungswünsche quer durch die ganze Gesellschaft gehen und immer nur einen kleinen Teil der Gesellschaft betreffen, das aber quer durch. Das sehen wir auch bei der AfD, einer Besserverdienenden-Partei. Es ist also kein Unterschichtenphänomen. Das macht es besonders problematisch, wenn wir nach Maßnahmen gucken, um diesen Populismus wieder einzudämmen.
domradio.de: Wie kann die Zivilgesellschaft diesem populistischen Rechtsruck entgegenwirken?
Welzer: Sie kann aufstehen und sagen, dass das nicht die Gesellschaft ist, die sie haben möchte. Wenn man sich eine Gesellschaft im Sinne der FPÖ oder der AfD vorstellt, dann sieht sie sicherlich radikal anders aus in der Haltung gegenüber Minderheiten, in umgesetzter Ausgrenzung. Das ist natürlich in jeder Hinsicht verrückt, sich eine solche Gesellschaft herbeizuwünschen. Was wir die letzten Jahrzehnte erlebt haben, insbesondere in Deutschland, Österreich und vergleichbaren Ländern, ist eine moderne Gesellschaft, die wirtschaftlich ganz hervorragend funktioniert. Genau weil sie integrativ ist und weil sie mit Vielfältigkeit umgehen kann, was sie übrigens wirtschaftlich auch braucht. Eine homogene, völkische Geschichte hat nie existiert, noch nicht einmal im Nationalsozialismus. Das ist also der Wunsch nach einer "guten alten Zeit", die nie existiert hat und das ist in einer globalisierten Welt und in einer Wirtschaft mit vollkommen unterschiedlichen Anforderungen ein totaler Humbug, heute politisches und gesellschaftliches Handeln an einer Kategorie wie Volk und Bevölkerung zu orientieren.
domradio.de: Ist das nur ein momentaner Trend oder eine längerfristige Entwicklung?
Welzer: Ich würde mir wünschen, dass man die Zeichen der Zeit erkennt und in einem Land wie unserem, aber auch in vielen europäischen Ländern bemerkt, dass Demokratie etwas ist, was man verteidigen muss. Insofern muss man gegen die Freiheitsfeinde auch massiv auftreten. Da müssen sich Bürgerinnen und Bürger engagieren, was sie im vergangenen Jahr im Rahmen der Flüchtlingsthematik in ganz hohem Maße getan haben. Sowas müssen wir jetzt verbreitet wieder sehen. Man muss sich für das Gemeinwesen engagieren, von dem man ein Teil ist.