Afghanistan vor historischer Wahl

Angst vor Taliban-Gewalt

Angst vor Anschlägen und Betrug bestimmen die Präsidentenwahl in Afghanistan. Eine Wiederholung des Wahldebakels von 2009 soll verhindert werden - ansonsten drohen schwerwiegende Konsequenzen.

Autor/in:
Can Merey
Afghanistan vor der Wahl (dpa)

In der Ostprovinz Khost starb die aus Nordrhein-Westfalen stammende Fotojournalistin Anja Niedringhaus im Kugelhagel, den ein Mann in Polizeiuniform auf ihren Wagen abfeuerte. Ihre kanadische Kollegin Kathy Gannon wurde schwer verletzt. Beide arbeiteten für die US-Nachrichtenagentur AP und waren nach Angaben der Agentur in einem von afghanischen Sicherheitskräften bewachten Konvoi von Wahlhelfern unterwegs. Die 48-jährige Fotojournalistin Niedringhaus aus dem westfälischen Höxter hatte sich mit Kriegsreportagen einen Namen gemacht und war 2005 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet worden.

Überall in Kabul stoppen Polizisten Autos, um nach Attentätern, Sprengstoff und Waffen zu suchen. Die Zahl der Checkpoints wurde dramatisch erhöht. In ganz Afghanistan werden die Sicherheitskräfte vor der Präsidentenwahl an diesem Samstag in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Zwei Fragen dominieren die Abstimmung, die den ersten demokratischen Machtwechsel in der Geschichte des Landes markiert: Ob die Taliban ihre Drohung wahr- und den Wahltag zu einem Blutbad machen. Und, eng damit verbunden: Ob es wie vor fünf Jahren wieder zu massivem Wahlbetrug kommen wird.

Acht Kandidaten

Im Wahlkampf, der in der Nacht zu Donnerstag endete, ließen sich Hunderttausende Afghanen nicht von den Taliban-Drohungen abschrecken. Sie besuchten die vielen Kundgebungen der acht Kandidaten, bei denen es zu keinen schwerwiegenden Zwischenfällen kam. Überschattet wurde die Vorwahlzeit trotzdem von Gewalt. Erst am Mittwoch sprengte sich ein Taliban-Kämpfer in Polizeiuniform vor dem Innnenministerium in Kabul in die Luft, sechs Polizisten riss er mit in den Tod. Besonders in der Hauptstadt Kabul, in der die Angst umgeht, verübten die Extremisten in den vergangenen Wochen spektakuläre Anschläge.

Afghanische Polizei und Armee sind heute viel besser aufgestellt als bei der Wahl vor fünf Jahren. Allerdings halfen 2009 auch ausländische Soldaten der Absicherung der Abstimmung. Heute steht die inzwischen deutlich verkleinerte Internationale Schutztruppe Isaf nur im Notfall bereit, falls die Afghanen sie anfordern. Die Taliban erneuerten indes ihre Drohung, den "gefälschten Wahlprozess" zu torpedieren. "Jedes Wahlzentrum wird gefährdet sein, und eine Welle von Angriffen wird im ganzen Land beginnen", teilten sie mit. Die Wahl sei eine "Verschwörung des ausländischen Feindes".

Zwölf Millionen Wahlberechtigte

Optimisten hoffen, dass die Taliban-Drohungen bei vielen der etwa zwölf Millionen Wahlberechtigten eine "Jetzt erst recht"-Haltung provozieren. Mohammad Rafi gehört zu dieser Gruppe, sein Nachbar in seinem Dorf wurde kürzlich von den Taliban getötet. Trotzdem sagt der 19-Jährige bei einer Kundgebung in der westafghanischen Stadt Herat: "Wir haben Angst zu wählen, die Sicherheitslage ist nicht sehr gut. Aber wir werden wählen, weil es unser Recht ist." Pessimisten befürchten dagegen, dass die Drohungen Afghanen von der Stimmabgabe abhalten werden - und dass das Ergebnis so verfälscht wird.

Besonders in unsicheren Gebieten kam es 2009 zu Unregelmäßigkeiten. Viele Wahllokale wurden damals am Wahltag aus Angst vor Taliban-Angriffen spontan geschlossen. Wahlzettel wurden von übereifrigen Beamten und Wahlhelfern trotzdem ausgefüllt. Der Betrug wurde vor allem dem Karsai-Lager angelastet. Am Ende der chaotischen Abstimmung, deren Ergebnis sich um Wochen verzögerte, blieben von den 5,8 Millionen abgegebenen nur 4,6 Millionen gültige Stimmen übrig.

Drei Kandidaten als Favoriten

Karsai - der Afghanistan seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 regiert - tritt nicht mehr an, die Verfassung verbietet eine dritte Amtszeit. Zwar werden drei Kandidaten als Favoriten gehandelt, wer am Ende aber das Rennen machen wird, ist völlig offen. Etwa zehn Prozent der Wahlzentren hat die Unabhängige Wahlkommission (IEC) diesmal aus Sicherheitsgründen bereits vor der Abstimmung als geschlossen erklärt, dorthin wurden erst gar keine Wahlzettel geliefert.

Viel wird nun davon abhängen, ob eine Wiederholung des Wahldebakels von 2009 verhindert werden kann und ob Kandidaten und Wähler das Ergebnis als legitim anerkennen. Das in diesem Jahr bevorstehende Ende des Isaf-Kampfeinsatzes sorgt bereits für starke Verunsicherung in Afghanistan. Eine verpfuschte Wahl würde das kriselnde Land zusätzlich destabilisieren - und dürfte die internationale Bereitschaft zur Unterstützung Afghanistans weiter schmälern.