epd: Herr Dieter, vor knapp einem Jahr wurde Franziskus zum Papst gewählt, was hat er seither bewirkt?
Dieter: Ein Papst, der sich wie Franziskus mit den Worten vorstellt: "Ich bin ein Sünder, den Gott angeschaut hat", ist eine ökumenische Sensation für evangelische Christinnen und Christen. Mit seiner intensiven Ausrichtung auf Jesus Christus wie seiner Hinwendung zu den Menschen und den Fragen, die sie stellen, ruft er die Kirche zugleich zur Umkehr zu Christus wie zur Überwindung ihrer Selbstzentriertheit auf.
epd: Was zeichnet Papst Franziskus besonders aus?
Dieter: Seine Betonung der Barmherzigkeit hat eine Atmosphäre geschaffen, in der Fragen gestellt werden können, die früher eher tabuisiert waren. Auch wenn damit dogmatische Konflikte noch nicht gelöst sind, ist eine andere Art des Umgangs mit ihnen sichtbar geworden. Wie er sein Reformprogramm näher bestimmen wird und was er davon umsetzen kann, muss sich allerdings erst zeigen.
epd: Was hat sich seither in der Ökumene getan?
Dieter: Die vielen neuen Impulse, die Papst Franziskus gegeben hat, haben die römisch-katholische Kirche so sehr in Atem gehalten, dass noch nicht erkennbar ist, wie sie sich auf die Ökumene auswirken.
epd: Sie waren im vergangenen Oktober in Privataudienz bei Franziskus und haben dort das lutherisch/römisch-katholische Dokument "Vom Konflikt zur Gemeinschaft" übergeben, das als theologische Grundlage dafür dienen soll, dass evangelische und katholische Christen im Jahr 2017 gemeinsam an 500 Jahre Reformation erinnern können. Was sind die Schwerpunkte in diesem Dokument?
Dieter: Das Dokument legt dar, dass es 2017 für evangelische wie katholische Christinnen und Christen sowohl Grund zur Dankbarkeit und Freude wie auch Grund zur Klage und zu einem Schuldbekenntnis gibt. Es erläutert wichtige Grundeinsichten der lutherischen Reformation und zeigt, wie sehr sich im ökumenischen Dialog Gemeinsamkeiten in den früher kontroversen Fragen ergeben haben. Darum können sich katholische und evangelische Christen 2017 auch gemeinsam darüber freuen. Zugleich wird ernst genommen, dass die westliche Kirche sich im 16. Jahrhundert gespalten hat. In den Auseinandersetzungen haben alle Beteiligten Schuld auf sich geladen, die zu bekennen und zu bedauern christlichen Kirchen 2017 wohl ansteht.
epd: Was muss angesichts des bevorstehenden Reformationsjubiläums im Jahr 2017 verbessert werden?
Dieter: Das Reformationsjubiläum sollte nicht als Mega-Event unter den vermeintlichen Imperativen des Medienzeitalters organisiert werden. Es sollte als eine gewaltige theologische und geistliche Herausforderung verstanden werden. Die Beschäftigung mit der Theologie der Reformatoren sollte die christlichen Kirchen zur Selbstkritik und zur Umkehr zum Evangelium von Jesus Christus führen. Die evangelischen Kirchen sollten allen Versuchen, eine protestantische Welt gegen die römisch-katholische Kirche bauen zu wollen, widerstehen und stattdessen gemeinsam mit Katholiken evangelischer (= dem Evangelium entsprechender) und katholischer (= im einen Leib Christi lebend) werden wollen.
Das Interview führte Ralf Schick.